„Sie kamen vor genau einer Woche und programmierten unsere Körper um… verschickt meinen Forschungsbericht bevor es zu spät ist!!!“
Ein verlassenes Labor – zwischen Mikroskopen und Reagenzgläsern findet eine Gruppe von Schüler*innen diese Botschaft auf einem scheinbar hastig verlassenen Schreibtisch. Dieses Szenario stammt nicht aus dem Drehbuch eines spannenden Thrillers, sondern ist der Einstieg in eine Unterrichtsstunde des übergeordneten Themas Immunbiologie in Klasse 9.
Nicht erst seitdem die COVID-19-Pandemie die Welt in Atem hielt, hat das Thema Immunbiologie eine besondere Relevanz für Schülerinnen und Schüler. Immunbiologie spielt sich im Körper eines jeden Menschen ab und bestimmt unter anderem durch einfache Hygiene-Maßnahmen, Erkrankungen, Arztbesuche und Nachrichten mal merklich mal unmerklich unseren Alltag, weil dieser Fachbereich der Biologie einen direkten Bezug zur Gesunderhaltung unseres Körpers bietet.[1] Für Schüler*innen ist dieses Thema deshalb erfahrungsgemäß motivierend. Eine besondere Motivation für ein Unterrichtsthema garantiert jedoch nicht unbedingt den Fortbestand derselben während einer oder mehreren Unterrichtsstunden.
„Eltern und Lehrkräfte beklagen und sorgen sich zunehmend, dass sich Schüler*innen in der Schule nur schwer konzentrieren, sich jedoch in der Freizeit stundenlang und hochkonzentriert mit Videospielen beschäftigen können. Somit liegt ein Mangel an Konzentration und Motivation, sich mit etwas zu beschäftigen, offenbar nicht in den Schüler*innen selbst, sondern am Gegenstand, mit dem sie sich beschäftigen.“[2]
Kaum eine andere Industrie schafft es besser das Interesse von Menschen dauerhaft zu binden, wie die Spieleindustrie. Lehrkräfte und Eltern können ein Lied davon singen, wie viel Zeit, Energie und Konzentration Schüler*innen für trendige Computer- und Handyspiele aufwenden.[3] Laut der jährlich durchgeführten JIM-Studie spielten 2023 72% der befragten Jugendlichen zwischen zwölf und 19 Jahren regelmäßig digitale Spiele.[4] In unserer Gesellschaft ist das meist negativ behaftet – nachvollziehbar, da Spiele beispielsweise auch süchtig machen können.
Gamification von Unterricht – Scheitern erlaubt!
Spielen liegt jedoch in der Natur des Menschen. Nach dem Erklärungsmodell des Homo ludens (des spielenden Menschen) entwickelt der Mensch seine kulturellen Fähigkeiten vor allen Dingen über das Spiel.[5]Durchaus verständlich, wenn man Schüler*innen beobachtet, wie sie in jeder Pause bei widrigsten Wetterbedingungen draußen kicken.
Doch weshalb spielt der Mensch so gerne? Roman Rackwitz, Gamification-Pionier in Deutschland, beschreibt Spiele im positiven Sinne als „Scheiterumgebungen“. Das bedeutet, dass uns ein Scheitern im Spiel nichts ausmacht – im Gegenteil: Es macht Spaß, weil Spiele geradezu zum Scheitern einladen.[6] Das Scheitern macht Spaß, da „wir uns auf den süßen Sieg freuen, nachdem wir 90% der Zeit gescheitert sind. Spiele aktivieren also emotional.“[7] – „Toooooor“ jubeln die Schüler*innen auf dem Bolzplatz, nachdem zuvor der Ball das Tor viele Male verfehlte. Im Spiel ist uns bewusst, dass ein Scheitern keine unmittelbaren Auswirkungen auf unser reales Leben hat, deshalb verhält man sich freier und ungezwungener als in der Realität.
Gamification setzt sich zum Ziel, diese Vorteile von Spielen auf ursprünglich spielfreie Kontexte zu übertragen, indem einzelne Spielelemente in diesen Kontext integriert werden. Alltägliche Notwendigkeiten und Handlungen sollen im spielerischen Kontext aufgewertet werden, motivieren und Spaß machen.[8] Die Onlineplattform Chore Wars vergibt beispielsweise Auszeichnungen und Punkte für geleistete Haushaltstätigkeiten.[9] Analog dazu versucht Gamification im didaktisch-methodischen Sinne spielerische Elemente in den nichtspielerischen Kontext Schule zu übertragen: Eine Story bettet Unterricht in einen spannenden Zusammenhang und bietet Schüler*innen die Möglichkeit, diese sich entwickelnde Geschichte zu beeinflussen und ihren Teil dazu beizutragen. Freiheiten und Herausforderungen wecken Kreativität und ermöglichen Lernen in völliger Vertiefung – im „Flow“, wie es Glücksforscher Mihály bezeichnet.[10] Kleine Spielfortschritte, wie beispielsweise das Knacken eines Schlosscodes, geben den Spielenden Echtzeitfeedback, also schneller und konsequenter als es jede Lehrkraft könnte. Dadurch wird zudem wertvolle Selbstwirksamkeit generiert.
Alle diese Punkte werden für die aktuelle Unterrichtseinheit mit mehreren Escape-Rooms am Albgymnasium berücksichtigt. In einem Escape-Room muss eine Gruppe in einer vorgegebenen Zeit Aufgaben oder Rätsel lösen, um aus dem Raum zu entkommen. Keine Angst – im Unterricht werden die Schüler*innen nicht eingesperrt. Beispielsweise mussten die Schüler*innen der Klasse 9 im ersten Escape-Room „Das verlassene Labor“ verschiedene Rätsel zum Thema Viren lösen, um schlussendlich den Code eines Forschungskoffers zu knacken. Unsichtbare Geheimschriften, nur unter einer UV-Taschenlampe sichtbar, geheimnisvolle Geräusche von der Bluetooth-Box im Schrank und versteckte QR-Codes führten von Rätsel zu Rätsel und die Schüler*innen lernten ganz nebenbei die Bildungsplaninhalte „Bau & Vermehrung von Viren“. Klick – der Koffer ist geknackt und die Welt vor den nicht mehr ganz so geheimnisvollen Viren gerettet!
Von Dominic Leimgruber
[1] Bildungsplan BW Gymnasium, Biologie 2016, S.19.
[2] https://www.lmz-bw.de/nc/newsroom/newsroom/detailseite/gamification-oder-wieso-spiele-teil-des-unterrichts-sein-sollten/, (10.02.2020)
[3] Vgl. Wettke, Christian: Gamification im Unterricht - nicht nur Spielerei!: Grundlagen und Praxisbeispiele für den Unterricht (5. bis 10. Klasse), AOL-Verlag, Hamburg 2019, S.14.
[4] Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2019). JIM-Studie 2023 - Jugend, Information, (Multi-) Media. Online abrufbar unter https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2022/JIM_2023_web_final_kor.pdf [07.02.2024].
[5] Johan Huizinga (Autor), Andreas Flitner (Hrsg.): Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Reinbek 2009, S.4.
[6] Rackwitz Roman: The-5-Pillars-of-Gamification. https://www.slideshare.net/romrack/the-5-pillars-of-gamification [10.07.2020].
[7] Wettke, Christian: Gamification im Unterricht - nicht nur Spielerei!: Grundlagen und Praxisbeispiele für den Unterricht (5. bis 10. Klasse), AOL-Verlag, Hamburg 2019, S.13.
[8] Vgl. ebd. S.15
[9] Online-Plattform Chore Wars. http://www.chorewars.com/ [10.07.2020].
[10] Csíkszentmihályi, Mihály: Flow. Das Geheimnis des Glücks. Klett-Cotta, Stuttgart 2015, S.22.
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